Bundestagung Lernort Bauernhof 2020 in Stapelfeld mit praxistauglichen Informationen, Handlungsempfehlungen und Beispiele für die Arbeit
„Wert und Wertschätzung haben sich entkoppelt“, sagt Ralf Wolkenhauer in seiner Eingangsrede zur „Bundestagung Lernort Bauernhof 2020“. Dem Lernort Bauernhof komme eine besondere Rolle zu, um der „Ferne der Gesellschaft von der landwirtschaftlichen Praxis“ etwas entgegenzusetzen, sagt der Ministerialdirigent aus dem Bundesministerium Ernährung und Landwirtschaft Zur Bundestagung 2020 der Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof (BAGLoB e.V.) kamen am ersten Märzwochenende mehr als 240 Teilnehmende aus 15 Bundesländern und dem Ausland nach Stapelfeld bei Cloppenburg. Drei Tage tagten die Teilnehmenden in der Katholischen Akademie. Eine eng getaktete Veranstaltung aus Vorträgen, Exkursionen und Workshops zu bildungspolitischen und agrarpolitischen Themen. Im Mittelpunkt standen praxistaugliche Informationen, Handlungsempfehlungen und Beispiele für die Arbeit auf dem Lernort Bauernhof.
Landwirtschaft in einer Welt voller Widersprüche
„Die Landwirtschaft ist in Bewegung“, sagt Ralf Wolkenhauer in seiner Eingangsrede zur Bundestagung Lernort Bauernhof. Zuständig für die Ländliche Entwicklung im Bundesministerium Ernährung und Landwirtschaft verortet er die „Landwirtschaft in einer Welt voller Widersprüche“. Umso mehr freue er sich, dass die Bundestagung der BAGLoB allen Positionen innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft ein Forum des gemeinsamen Dialogs und Lernens biete. Für das Bundesministerium bedeute der Lernort Bauernhof auch einen Beitrag zur ländlichen Entwicklung, sei aber auch ein wichtiger Partner in der deutschen Bildungslandschaft. Diese besondere Rolle des Lernortes Bauernhof bietet aus Sicht von Ralf Wolkenhauer auch die Möglichkeit für das Ministerium, diese Bildungsarbeit fördernd zu unterstützen. Das Ministerium wolle Dialogveranstaltungen starten, in denen „Landwirtschaft, Verbraucher und Naturschutz lernen, in einen zuhörenden Dialog zu treten“. Ein Vorbild seien die jährlichen Bundestagungen der BAGLoB, in denen seit vielen Jahren dieser Dialog für „ein neues Miteinander und nicht Jeder gegen Jeden“ praktiziert wird.
Lernort Bauernhof bietet Mehrwert im Bildungsbereich
„Zu den Bildungsaufgaben der Schulen gehört auch die Begegnung mit der realen Welt. Der außerschulische Lernort ist dabei unüberbietbar“, sagt Wolkenhauer. Der Lernort Bauernhof biete „ein Forum für Begegnung verschiedener Interessengruppen“. Und weil „Lernen nicht einfach nur stattfindet, weil man sich auf einem landwirtschaftlichen Betrieb einfindet“, so Wolkenhauer, biete der „ganzheitliche Kontext des Lernortes Bauernhof hier den Mehrwert im Bildungsbereich“.
Mit dem Vortrag von Ralf Wolkenhauer begann am Freitag das Abendprogramm. Schon zuvor startete die Bundestagung Lernort Bauernhof mit dem Vorprogramm am Nachmittag, zu dem in diesem Jahr schon mehr als 150 Teilnehmende nach Stapelfeld kamen. Die Themen des Vorprogramms beschäftigen die Lernorte intensiv: Datenschutz, Kalkulation und Geschäftsmodell „Lernort Bauernhof“ gehörten ebenso dazu, wie der Vortrag von Jan Freese von der Deutschen Vernetzungsstelle ländliche Räume in der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: er zeigte Wege auf, wie der Lernort Bauernhof in das Förderprogramm Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) verankert werden könne.
Den Schülerinnen und Schülern mehr Räume für Engagement und Selbstwirksamkeit
Das außerschulische Lernen auf dem Bauernhof griff auch Dr. Marie Bludau auf, sie ist zuständige Referentin für Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) im Niedersächsischen Kultusministerium. Dr. Marie Bludau mache „eine starke Veränderung im Bildungsdiskurs aus. Wir dürfen über eine Haltungsänderung in Schulen reden“, und fordert mehr „Räume für Schülerinnen und Schüler für Engagement und Selbstwirksamkeit“. Dem Lernort Bauernhof komme in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. „Globale Herausforderungen werden plötzlich lokal. In Gesellschaft und Schule wächst das Engagement und trifft auf traditionelles Schulverständnis“, so die Vertreterin des Kultusministeriums aus Hannover. Ihre Forderung an die Schulen: eine stärkere „Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu mündigen Menschen. Kinder und Jugendliche sollen Kompetenzen zur Gestaltung entwickeln. Hier kommt der Lernort Bauernhof ins Spiel“, sagt Dr. Marie Bludau. In diesem Entwicklungsprozess von Schulen sei der Lernort Bauernhof besonders wichtig. Kooperationen seien für die Öffnung von Schulen „unumgänglich“. Zu den Entwicklungen im Niedersächsischen Kultusministerium in Bezug auf den Lernort Bauernhof berichtete zum Abschluss der Tagung dann Margret Rasfeld von der Initiative „Schule im Aufbruch“. Sie steht im engen Austausch mit Kultusminister Grant Hendrik Tonne.
Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof ist ausgezeichnetes Projekt der „UN-Dekade Biologische Vielfalt“
“]BNE-Referentin Dr. Marie Bludau überraschte die Teilnehmenden im Auditorium mit einer Auszeichnung für die BAGLoB: „Die Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof e. V. teilt die Vision, allen Menschen Bildungschancen zu eröffnen, die es ermöglichen, sich Wissen und Werte anzueignen sowie Verhaltensweisen und Lebensstile zu erlernen, die für eine positive gesellschaftliche Veränderung und eine lebenswerte Zukunft erforderlich sind. Der Verein vernetzt die vielfältigen Aktivitäten zum Lernen auf dem Bauernhof bundesweit, er informiert, berät, organisiert Fortbildungen und beteiligt sich – auch international – an der wissenschaftlichen Weiterentwicklung des Lernens auf dem Bauernhof“, zitierte Dr. Bludau aus der Laudatio. So überreichte sie den Preis für „Ausgezeichnete Projekte und Beiträge der UN-Dekade Biologische Vielfalt“ an Hans-Joachim Meyer zum Felde (Vorsitzender der BAGLoB) und Heike Delling (stellv. Vorsitzende der BAGLoB). „Die BAGLoB e.V. bildet den Rahmen, koordiniert das Netzwerk und fördert die Bildungsarbeit“, sagt Hans-Joachim Meyer zum Felde. Diese Auszeichnung bekomme die BAGLoB, weil die Lernorte eine bedeutende Arbeit im Sinne der Bildung für Nachhaltige Entwicklung leisteten. Somit sei diese Auszeichnung eine Wertschätzung für alle Lernorte, so der Vorsitzende.
Wie es gelingt, die in der Laudatio dargestellte Arbeit auf dem Lernort Bauernhof umzusetzen, beschrieben am Samstagmorgen Axel Unger und Claudia Eicke-Schäfer vom Internationalen Schulbauernhof Hardegsen bei Göttingen. Unter dem Titel „Im Gespräch über Zäune hinweg“ erklärten die beiden „Schulbauern“, wie sie die Grenzen und Zäune „in den Köpfen“ überwinden. Der Dialog zwischen konventionell, ökologisch wirtschaftenden, den klein- und großstrukturierten Betrieben sei auf Grundlage der Bildungsarbeit möglich. Ideologische Positionen spielten kaum noch eine Rolle, wenn man sich auf die Bildungsaufgabe fokussiere. Voraussetzung für jeden Lernort sei es, sich zu öffnen. Lernort Bauernhof kann schließlich nur derjenige sein, der sich den Schülerinnen und Schülern stelle. Das leuchtet ein und fördert die Bereitschaft sich mit seiner eigenen Arbeit auseinander zu setze.
Praxisbeispiele, Handlungsempfehlungen und Informationen in Workshops und Exkursionen
Wie das in der praktischen Arbeit aussehen kann, das erfuhren die Teilnehmenden an einer der Exkursionen am Samstagnachmittag. Neben zahlreichen Workshops in der Akademie zu verschiedensten Themen des Lernortes, ging es auch raus zu Lernorten in der Umgebung. So fuhr eine Gruppe zum Hof von Bauer Jürgen Herzog in Lohne. Ein klassischer bäuerlicher Betrieb – auf den ersten Blick. „Woher kommt mein Frühstücksei?“ Dieser Frage ging Bauer Jürgen Herzog mit 20 Teilnehmenden nach. „Das mache ich auch alles mit den Schülerinnen und Schülern die uns besuchen“, antwortet Jürgen Herzog auf die Frage, ob die Gruppe jetzt einen „Extrablick“ in den Stall bekäme. Jürgen Herzog ist Bauer mit Leib und Seele. Norddeutsch direkt und klar in der Ansage. Die Teilnehmenden sind in blauen Ganzkörperanzügen gekleidet, überqueren die Desinfektionsmatte und versammeln sich um die Sortiermaschine. 11.400 Eier sortiert Jürgen Herzog hier jeden Tag – mit familiärer Unterstützung. 12.000 Hühner leben im Stall nebenan. Jürgen Herzog erklärt: das Ei, wie groß und vor allem wie schwer es sein darf für die Vermarktung, er beschriebt das Huhn am lebenden Objekt, und zeigt auch ein totes Huhn: „Tod gehört auf dem Hof zum Leben dazu“ sagt er und fügt hinzu, „das passiert nun mal“ und das sollen auch die Schülerinnen und Schüler wissen. Hinter der Stalltür begrüßen die Hühner neugierig ihre Besucher. Neugier auf beiden Seiten. Erstaunt sind die Besucher: keines der Bilder im Kopf der Gäste deckt sich mit dem, was sie sehen. Gepflegte, saubere, gesunde Tiere. Bauer Herzog erklärt, wie das so funktioniert im Hühnerstall: Hierarchien, Abläufe, Fütterung, Eiablage – und was passiert, wenn die Hühner „alt“ sind und nicht mehr genug Eier legen. Wenn die Legekapazität unter 60 Prozent fällt, sei es nicht mehr wirtschaftlich. Dann werden die Hühner ausgetauscht. Die Hühner, die die Teilnehmenden jetzt sehen, werden in einigen Monaten geschlachtet werden. „So etwas sollen auch die Kinder wissen“, sagt Herzog. Das gehöre dazu, wenn man wissen will „woher kommt das Frühstücksei“. Hier können sich Schülerinnen und Schüler eine Meinung bilden. Jürgen Herzog sagt nicht, ob die eine oder andere Haltungsmethode besser ist. Er zeigt nur das, was und wie er es macht. Ein Lernort Bauernhof eben.
Die Teilnehmenden der Bundestagung Lernort Bauernhof nehmen aus allen Workshops, Exkursionen und Vorträgen praktische Impulse für ihre Arbeit mit. Aus den Vorträgen gewinnen sie starke Argumente für ihre Arbeit auf dem Lernort Bauernhof. Sie erfahren, dass sie schon ein bedeutender Teil der Transformation sind oder wie sie es werden können.
Transformation der Gesellschaft in Zeiten des Klimawandels
Die Transformation der Gesellschaft in Zeiten des Klimawandels ist das Vortragsthema von Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt. Der Jurist, Philosoph und Soziologe aus Leipzig beschrieb in seinem Vortrag, wie sich das Bewusstsein des Menschen verändert und verändern lässt. Der Jurist orientiert sich zwar an den globalen UN-Zielen zur Nachhaltigkeit, rechtlich spielten sie aber keine Rolle, weil sie nicht rechtsverbindlich seien. Er geht von den rechtlich verbrieften Zielen aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Insgesamt „verheerend“ seien die Ziele. Doch für den Juristen besonders interessant ist Artikel 2 Abs. 1 des Pariser Abkommens, in dem sich die Länder auf die Beschränkung der Erderwärmung einigen. Dieses Ziel, so der Jurist, sei einklagbar und rechtlich bindend für alle unterzeichnenden Länder. Davon ausgehend könne laut Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt nur die Folge abgeleitet werden „null fossile Brennstoffe und ein radikal verringerter Fleischkonsum“ und zwar „sofort“. Das Publikum im Forum der katholischen Akademie hört gebannt und still zu. Der Wissenschaftler zeigt auf, wie sich Bewusstsein bei Menschen bildet. Die aus dem Klimawandel resultierenden Maßnahmen seien radikal und beträfen jeden Menschen. Theoretisch sei ein sofortiger Ausstieg aus fossilen Brennstoffen nicht möglich und der Fleischkonsum könne nicht sofort auf das nötige Maß reduziert werden. „Wir müssen uns verändern – und wir können das auch“ sagt der Professor. Erleichterung im Publikum. Ein „Weiterso“ sei allerdings ausgeschlossen. Der langanhaltende Applaus zeigt die Zustimmung zu Dr. Ekardts Theorien und Prognosen.
Man muss eine Vision haben, dann kann man auch etwas bewegen
Zum Abschluss der Bundestagung Lernort Bauernhof 2020 berichtet Margret Rasfeld aus ihrer Arbeit und aus den Entwicklungen in Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Kultusministerium. Margret Rasfeld gilt in Deutschland als Vorreiterin, wenn es darum geht Schule anders zu denken. Margret Rasfeld war bis zu ihrer Pensionierung Schulleiterin der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, sie ist Mitbegründerin der Initiative ‚Schule im Aufbruch‘, Buchautorin und aktive Bildungsinnovatorin. Ihre Vision ist eine wertschätzende Lernkultur, die zu Gemeinsinn und Verantwortung, Kreativität und Unternehmergeist inspiriert und befähigt. „Man muss eine Vision haben, dann kann man auch etwas bewegen“, ruft sie ihrem Publikum am letzten Tag der Bundestagung Lernort Bauernhof 2020 zu. „Meine aktuelle Mission ist der „Frei-Day für den Lebensbereich Zukunft“.
Naturerfahrungen kann man nicht aus Büchern lernen
Die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) fordere „einen Paradigmenwechsel, eine transformative Bildung und innovative Lernformate“, sagt Margret Rasfeld und fügt aus eigener Erfahrung hinzu: „Mit der Schul- und Universitätsausbildung, die wir heute haben, werden wir die Transformation nicht schaffen.“ Sie identifiziert den Lernort Bauernhof als den Lernort, der den Anforderungen der UNESCO aus dem Aktionsprogramm Bildung für Nachhaltige (BNE) Entwicklung entspräche. Denn: „Naturerfahrungen kann man nicht aus Büchern lernen. Und wer keine Beziehung zur Natur aufbaut, wird sie nicht schützen.“ Ihre Analyse des Bildungssystems, der Situation an den Schulen in Deutschland und ihren daraus entwickelten Bezug zum Lernort Bauernhof begeistert das Publikum. Der Lernort Bauernhof stehe auch im Fokus ihrer Initiative „Frei-Day für den Lebensbereich Zukunft“, zu der sie in intensiven Gesprächen mit dem Niedersächsischen Kultusministerium stehe. Darin gehe es um die Möglichkeit für Schulen, einmal in der Woche an einem freien Schultagvormittag – vier Stunden – Schülerinnen und Schülern den Raum zu geben, sich mit Zukunftsthemen zu befassen. „Am besten raus zum Lernort Bauernhof“, fügt die Pädagogin hinzu. Schließlich stelle der Lernort Bauernhof den idealen Lernort für einen transformativen Prozess dar.