Für Bauernhof- und Kindergartenpädagog*innen war die „Bundestagung Bauernhofkindergarten 2023“ im Seminarzentrum „Gut Frohberg“ (Sachsen) nahe Meißen ein abwechslungsreiches, buntes Fortbildungswochenende mit geballtem Wissen aus Theorie, pädagogischer Praxis und Forschung. Ausreichend Pausen und der nahezu familiäre Rahmen mit 70 Teilnehmern aus ganz Deutschland und der Schweiz boten außerdem zahlreiche Gelegenheiten für den persönlichen Austausch.
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Rückblick: Bundestagung
Bauernhofkindergarten 2023
2023 – Es war soweit. Die BAGLoB hatte dieses Jahr mit einem vielfältigen Programm erneut eine Bundestagung für die Bauernhofkindergärten angeboten.
Das Interesse an Bauernhofkindergärten war mit dem Zuspruch gewachsen, den die inzwischen über 80 realisierten Einrichtungen in Deutschland erfahren hatten. Jedes Jahr waren neue Kindergärten auf Bauernhöfen dazugekommen. Doch jede (neue) Initiative hatte auch vor großen Herausforderungen bei der Gründung, Umsetzung der Konzeption, Personalausstattung, Finanzierung und der Teamarbeit gestanden.
In der Rückschau war der Erfolg des Miteinanders von Kindergarten und Bauernhof in hohem Maße davon abhängig, wie die unterschiedlichen Erwartungen und Lebenswelten in Einklang gebracht wurden und wie die Kooperation zwischen Kindergarten und landwirtschaftlichem Betrieb gestaltet wurde.
Die Tagung hatte sich damals mit Informationen, Workshops, Büchertischen und der Möglichkeit zum Austausch an interessierte Landwirt:innen, Erzieher:innen sowie Vertreter:innen von Trägern und Behörden gewandt.
Anmeldung zur Bundestagung Bauernhofkindergarten
Dokumentation
Nach einer kurzen herzlichen Begrüßung durch den 1. Vorsitzenden der BAGLoB, Hans-Joachim Meyer zum Felde, und Larissa Schweizer leitete Lioba Triquart als Vertreterin des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus in einer kurzen Ansprache über zu dem von ihr mitgebrachten Referenten Oliver Mehl. Der Natur-, Erlebnis- und Waldpädagoge, der auch Weiterbildungen für Erzieher*innen durchführt, referierte in seinem anschaulichen Vortrag über “Naturpädagogik und ihre Bedeutung für den Bildungsbereich”. Dabei ging er auf die grundlegende Notwendigkeit der Erfahrung von unverfälschter Lebenswirklichkeit beim Aufwachsen ein. Diese könnten Kinder nicht in der Schule, sondern nur in der Natur oder auf Bauernhofkindergärten sammeln. waldzeiten.de
Ines und Volker Trautmann: Erfahrungen als Tageseltern auf dem eigenen Bauernhof
Ines und Volker Trautmann referierten gemeinsam über ihre Erfahrungen als Tageseltern auf dem eigenen, idyllisch gelegenen Bauernhof im Dorf Schönborn bei Dresden, wo sie bis zu fünf Kinder im Alter von 11 Monaten bis 3 Jahren nahezu ganztägig betreuen. „Ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit ist die Ermunterung zur selbständigen Handlungsfähigkeit nach Maria Montessori nach dem Motto “Hilf mir, es selbst zu tun”. Das stärkt die Persönlichkeit der uns anvertrauten Kinder“, so der erfahrene Erzieher Volker Trautmann, und er fügt hinzu: „Es gibt kaum etwas Schöneres für Kinder, als ohne mediale Reizüberflutung im Rhythmus mit der Natur und ihrer vielfältigen Schönheit aufzuwachsen.“ naturtageseltern.de
Ganzheitliches Lernen als Einstieg in den Samstag
Den zweiten Tagungstag eröffnete die Erziehungswissenschaftlerin und ehemalige Lehrerin Dr. Charmaine Liebertz mit dem Thema “Herzensbildung”. Die Gründerin und Leiterin des zertifizierten Fortbildungsinstituts in Köln – zugleich Verein „Gesellschaft für Ganzheitliches Lernen e.V.“ – stellte mitreißend und überzeugend die dominierende Rolle von emotionaler Intelligenz und sozialer Kompetenz als Schlüsselqualifikationen von Erziehen und Lernen dar, zog dabei auch Forschungsergebnisse mit ein. Wissensvermittlung und Werteerziehung würden eine Einheit bilden. „Kinder brauchen verlässliche Werte und emotionalen Halt, denn Gefühle bilden die Gleise für den Zug des Lebens. Emotionale Intelligenz ist also nicht angeboren!“ ganzheitlichlernen.de
Von Käsen über dem Feuer bis hin zu Qualitätsmanagement: Fünf interresennante Workshops laden zum Mitmachen ein
Nach diesem Einstieg in die Theorie des bestmöglichen Lernens teilten sich die Teilnehmer bis zum Mittag auf fünf verschiedene Workshops auf – zwei davon theoretisch in Form einer Kombination aus Referat und Diskussion und drei praktische Workshops:
Helmut Siegl aus Aichhalden bei Freiburg, Bauernhofpädagoge, handwerklich äußerst versiert und erfinderisch, zeigte den Workshopteilnehmern bei herrlichem Sonnenschein im Freien, wie man kreativ mit Steinen, Erde bzw. Ton und Metall arbeiten kann. Zuerst stand die Herstellung einer Steinaxt auf dem Programm. Nach noch nicht einmal einer Stunde hatte tatsächlich jeder seinen eigenen Stein beschlagen und diesen in einem vorsichtig gespaltenen Holzgriff aus einem Ast mit Draht festgeklemmt. Alle handwerklichen Aufgaben waren direkt übertragbar auf Kinder im Kindergartenalter. Dass es nicht immer auf Anhieb funktioniert, gehört zum Prozess dazu und ist manchmal sogar wichtig für die Entwicklung der Geschicklichkeit. unterwegs-gott-zu-schauen.de
Im zweiten Workshop unter freiem Himmel erlernten die Teilnehmer das Käsen über dem Feuer. Angeleitet wurde es von Josef Huber-Kraus aus Frankenhardt, Bauernhofpädagoge bei der SoLaWi Schwäbisch Hall. Im Tagungsworkshop leitete er die Teilnehmer in der Herstellung von Kochkäse aus Milch, saurer Molke und Salz an – so wie es traditionell auf der Alm üblich ist. Die Herstellung am Feuer bzw. am freistehenden, heißen Ofen empfiehlt Huber-Kraus eher für ältere Kinder und Erwachsene. Mit kleinen Kindern sei die Herstellung am Herd in der Küche sicherer und funktioniere genauso zuverlässig. Das Abfüllen der geronnenen, noch weichen Milch in Formen war auch für die Erwachsenen ein spannendes Erfolgserlebnis. Kochkäse habe im Vergleich zu anderen Käsesorten den Vorteil, dass er keine Reifezeit benötigt und nach 15 min genussbereit ist. Deshalb ist es ein typisches Almprodukt.
solawi-hall.de
Im dritten Workshop führte Erdmuthe Seth, Sängerin, Musical-Darstellerin und Yoga-Lehrerin die Teilnehmer an Bewegungsspiele, -übungen und das Singen heran – für Kindergartenkinder eine wunderbare und beliebte Bereicherung! Sie vermittelte dabei auch, dass man kein Profi sein muss, um Kinder bei Körperübungen und Singen anzuleiten. Seth verbindet die Yoga-Übungen sogar mit Tiergeschichten, in denen Körperhaltungen und manchmal sogar Geräusche oder Lieder vorkommen, die dann vor- und nachgemacht werden. Sie berichtete von ihren Erfahrungen, dass Kinder es mit Freude annehmen und dabei eine ungeheure Kreativität entfalten können. Das innovative Konzept entwickelte Seth in zwei Bauernhofkindergärten von Kita Natura.
erdmuthe.com
Im Theorie-Workshop „Qualitätsmanagement im Bauernhofkindergarten – Sinn, Zweck und Grenzen des Machbaren“ wies der Referent Martin Dörflinger vom Trägerverein Naturkinder Achberg e.V. zu Anfang darauf hin, dass Bauernhofkindergärten als Alternativ-Einrichtung in kein “DIN-ISO”-Raster passen würden und gerade deshalb zwingend ein Qualitätsmanagement benötigten. Dies könne man natürlich auch als “Pädagogik-Konzept” bezeichnen. In jedem Fall würden dadurch die Arbeitsbedingungen – auch vor dem Hintergrund, dass meist Personalmangel herrsche – positiv beeinflusst. Die Einrichtungskultur, die Haltung der Pädagogen, ihr Umgang innerhalb des Teams, mit den Kindern und Eltern sowie die Mitarbeiterpflege (Kapital) müssten konkret definiert werden. “Wenn die Kinder glücklich sind, es dem Pädagogen-Team gut geht, in der Kommunikation Transparenz und Klarheit herrscht, dann sind auch die Eltern zufrieden.”, so Dörflinger.
naturkinder-achberg.de
„Wie fange ich es an?“ lautete der Titel des zweiten Theorie-Workshops für Akteure, die die Gründung eines Bauernhofkindergartens initiieren möchten. Es war eine lockere Gesprächsrunde im Wintergarten vom Gut Frohberg. Die Referentin Anne-Marie Muhs hat 1999 den ersten Bauernhof-Kindergarten auf dem eigenen Bio-Hof in Krummbek (Schönberg, Schleswig-Holstein) gegründet und seitdem viele weitere Gründungen aktiv begleitet, insbesondere seit ihrer Gründung der gemeinnützigen Genossenschaft Kita Natura, der sie zusammen mit Larissa Schweizer vorsteht. Sie kennt alle Facetten der Kommunikation mit Kommunalverwaltungen, die sich mit der Gründung von Natur- und Bauernhofkindergärten auseinandersetzen bzw. so ein Anliegen herangetragen bekommen. Entsprechend wertvoll war der Workshop für die Teilnehmer, die viele konkrete Fragen und Anliegen mitgebracht hatten.
kita-natura.de
„Lachen und Lernen“
Am Nachmittag des Tages kam Dr. Charmaine Liebertz zum Tagung zu Wort, diesmal über das Thema „Lachen und Lernen“. Sie berichtete über die Ergebnisse der Lach-Forschung und wie sich das Lachen in der Evolution entwickelt hat. Die medizinischen, emotionalen und sozialen Wirkungen des Lachens und des Humors auf den Einzelnen und die Gruppe seien enorm. “Unser Lachen ist der Schlüssel zur Bindung”, so Liebertz. “Es schlägt die Brücke vom Ich zum Du schneller als jedes Wort.” Kulturübergreifend verstehen wir seine kommunikative, ordnende und befreiende Funktion. Wer eine humorvolle Pädagogik fördert, steigere die Lernleistung, stärke das Gruppengefühl und erhalte die Lernfreude.
ganzheitlichlernen.de
Der letzte Vortrag vom Samstag lautete „Naturkindergarten als Lernort – Spiele und Methoden zum gemeinsamen Erkunden“ und knüpfte perfekt an die von Dr. Liebertz genannten Prinzipien des ganzheitlichen Lernens an. Sarah Morwinski, Jugendbildungsreferentin vom BUND-Landesverband Sachsen, beschrieb naturpädagogische Spiele und Methoden.
bund-sachsen.de
Gesundheitseffekte eines ländlichen Lebensstils
„Gesundheitseffekte eines ländlichen Lebensstils und die Bedeutung von Bauernhofkindergärten auf Milchviehbetrieben“ lautete der erste Vortragstitel am Sonntag von Dr. Daniel Kusche, Öko-Agrarwissenschaftler an der Universität Kassel. Forschungsstudien von ihm und anderen Wissenschaftlern sprechen dafür, dass die Begegnung mit dem ländlichen Raum (Rinder und andere Nutztiere, Milch, Ställe, Boden, Wiesen etc.) aus vielfältigen Gründen für die Gesundheit und ein gutes Immunsystem von hoher Bedeutung ist. Je früher dies passiere, umso besser. Bei der Milchviehhaltung sei in der Stallluft das Protein Beta-Lactoglobulin enthalten, und natürlich auch diverse pathogene Keime. Frühe Infektionen oder die Exposition mit diversen Mikroorganismen würden vor späteren allergischen Erkrankungen schützen. Dies wird auch als eine Erklärung für den sog. Bauernhofeffekt herangezogen, der u.a. den Kontakt mit Tieren, Futter und Stall als Präventivfaktoren betont. Eine weitere Einflussgröße in diesem Kontext könne der frühe Konsum unbehandelter Milch sein, insbesondere wenn die Kühe grasbasiert auf der Weide fressen würden. Diese präventiv wirkenden Faktoren, die oft mit dem jeweiligen Lebensstil in Verbindung stehen, könnten zukünftig dazu dienen, neue Präventionsstrategien gegen Allergien zu entwickeln. Demnach seien Bauernhofkindergärten zur Stärkung des Immunsystems in der frühen Kindheit gut geeignet. Dr. Daniel Kusche auf der Website der Uni KasselTagungsausklang mit Marie Owens
Die Tagung klang aus mit einem abwechslungsreichen Vortrag von Marie Owens, Sozialpädagogin und Landwirtin auf dem elterlichen Hof im nordrhein-westfälischen Arnsberg. Unter dem Titel „Ein Kindergartenjahr auf dem Bauernhof erleben – Ein landwirtschaftlicher Kreislauf auf dem Tiggeshof“ präsentierte sie lebendig mit vielen Bildern, welche wertvollen Erfahrungen die Kinder und Pädagog*innen auf ihrem seit zwei Jahren bestehenden Bauernhofkindergarten von Kita Natura gemacht haben.
erlebnisbauernhof-sauerland.de
Während der ganzen Tagung stand ein großer Büchertisch zu allen relevanten Themen rund um Bauernhof- und Naturpädagogik zur Verfügung, zusammengestellt und betreut von Kerstin Bullack, Sonder- und Bauernhofpädagogin
k-bullack@t-online.de.
Bauernhofkindergärten sind ein wesentliches Element der außerschulischen Bildung. Je früher der Grundstein für eine einfache, nachhaltige Lebensweise und das Verständnis für die Herkunft unserer Lebensmittel gelegt wird, desto wirkungsvoller.
Weiter Informationen sind zu finden unter www.baglob.de
Bericht und Foto: Dominic Menzler, dm@digicomdesign.de